die Färberei e.V. - "Über die Wupper gehen"          
                 
 
     
 
     
     
Nummer:   54+465
Standort:   Wuppertal, Stennert 8
Grösse:   200 x 400 cm
Material:   siehe Text
     
     
Projektleitung: Iris Colsman, Peter Hansen    
Künstlerische Leitung: Jordan Boehm    
Teilnehmer: Bernd Engels, Sabine Jesinghaus, Britta Klapp, Rita Langefeld, Mareike Lüdecke
             
Im Rahmen des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderung entwickelten behinderte und nichtbehinderte Menschen in der Färberei unter Mitwirkung des Künstlers Jordan Boehm in dem Zeitraum vom 2. Juli- 4.Juli 2003 das Kunstwerk „Über die Wupper gehen“.Aufgrund seines Ausstellungsortes zwischen zwei Fenstern ist dem Betrachter passend zu dem Kunstwerk der Blick auf die Wupper geboten.

Bei der Anfertigung diesen Kunstwerkes verwendeten die Beteiligten Tuffsteine, Anröchterdolomitsteine mit Muschelabdrücken, Spiegelscherben, eine verrostete Stahlsäge, eine verdeckte Flasche mit Schlauch und zersplitterte Kacheln und Fliesen. In seiner Gesamtheit stellt es ein freies Spiel von den genannten Elementen dar.
Das Kunstwerk zeigt eine Kommunikationsszene zwischen einem Rollstuhlfahrer (Acryl auf Leinwand) auf der linken Seite des Gebildes und einem laufenden nichtbehinderten Menschen (Draht und Zaun) auf der rechten Seite des Gebildes. Die genannten stark abstrahierten Personen strecken ihre Arme zueinander aus, wodurch eine Kommunikationssituation entsteht.
In der Mitte unterhalb der Kommunikationsszene befindet sich die Stahlsäge, die das Zentrum dieses Gebildes darstellt. Die Position der Stahlsäge verdeutlicht zum Einen die Distanz zwischen den erwähnten Personen und zum Anderen ist sie das Hauptelement des Gebildes, bei dem der Rezipient einen großen Assoziationsspielraum geboten bekommt. Er verbindet mit der Stahlsäge z.B. ein Mühlrad oder einen Tunnel.

Die Stahlsäge wird von der Wupper (bestehend aus blaugrauen zersplitterten Kacheln und Spiegeln), die sich von rechts unten nach links oben über das Gebilde erstreckt, umflossen. Hierbei gelingt es den Beteiligten, die Wupper zum Einen aus der Vogelperspektive zu zeigen und zum Anderen eine Raumwirkung durch Tiefenillusion zu erzeugen. Die Wirkung der Tiefenillusion wird durch die Spiegelscherben in der Wupper erreicht, die den Veranstaltungsraum aus seitlicher Perspektive abbilden. Zugleich dienen die Spiegelscherben als Lichtreflexe auf der Wupper.
Unterhalb der Wupper befindet sich das Wupperufer (aus braunen zersplitterten Fliesen), dargestellt aus der Vogelperspektive. Die Fliesenscherben der Wupper, wie auch die des Ufers, werden auf der rechten Seite des Gebildes in die Richtung des Raumfensters fortgeführt. Somit entsteht eine offene Komposition und Bildinnen- und Außenraum werden durchdrungen.
Den kompositorischen Ausgleich zu der horizontalfließenden Wupper im unteren Teil des Kunstwerkes bildet die Vertikalbetonung auf der linken Seite des Gebildes. Dort befinden sich unterhalb des Rollstuhlfahrers, Anröchterdolomitsteine in waagerechter Anordnung.
Einen außergewöhnlichen Effekt bietet hierbei der Wassertropfen (Wupperwasser), der sich in regelmäßigen Abständen unterhalb des Rollstuhlfahrers über die Steine herunterschlängelt. Er symbolisiert das Leben und die Lebenskraft des Wassers und anderen Naturelementen sowie die Lebenskraft der Menschen (in diesem Falle, die des Rollstuhlfahrers).
In diesem Kunstwerk wechseln sich vertikale, horizontale und diagonale Achsen ab, was zeigt, dass es sich um eine asymmetrische Anordnung der einzelnen Elemente handelt. Durch diese Asymmetrie wirkt das Kunstwerk dynamisch auf den Rezipienten. Die Dynamik wird durch das abwechslungsreiche Zusammenspiel der verschiedenen „Mosaiksteine“ verstärkt.
Die Beteiligten achteten absichtlich darauf, kleinere Wandflächen unbeklebt und unbemalt zu lassen (z.B. die Stücke zwischen den Fliesenscherben und die Wandfläche oberhalb der Stahlsäge). Hiermit zeigen sie dem Rezipienten, dass man auch bloße, weiße Wandfläche als Kunst sehen kann und es unberechtigt ist, sie als „Nichts“ zu bezeichnen. Dadurch, dass die Beteiligten weiße Wandfläche mit Fliesenscherben und anderen Materialien „umrahmen“, integrieren sie diese Stückchen weiße Wandfläche in das Gebilde und es wird somit zu einem sinnvollen Teil des Gesamtkunstwerkes.
Charakteristisch für dieses Kunstwerk sind zudem die zwei verschiedenen Wahrnehmungsebenen. Einmal die materielle Ebene: hierbei blickt der Rezipient auf die (Natur)elemente an sich. Er sieht jedes Element einzeln und erkennt somit einerseits die Verschiedenheit der einzelnen Materialien und andererseits die Vielfältigkeit der (Natur)elemente.
Die zweite Wahrnehmungsebene ist die organisatorische Ebene: hierbei blickt der Rezipient auf das Zusammenspiel der einzelnen Elemente. Er achtet auf ihre Organisation und ihre Anordnung; sprich die Komposition:
Durch diese zwei verschiedenen Wahrnehmungsebenen erkennt der Rezipient auf der einen Seite die Ästhetik der einzelnen Materialien und auf der anderen Seite die Ästhetik des Zusammenspiels dieser verschiedenen Materialien. Es wird somit zu einem „poetischen Gebilde“ (Zitat Jordan Boehm).
Dem Rezipienten wird ein freier Assoziationsspielraum geboten:
Er hat zum Beispiel die Möglichkeit die verrostete Stahlsäge als Symbol für die Zeit- die Vergangenheit Wuppertals, zu sehen und somit spiegelt sich für ihn die Geschichte in dem Gebilde wieder. Andere Rezipienten wiederum sehen buddhistische Aspekte in dem Gebilde. Sie verbinden die runde Stahlsäge mit dem Kreislauf von Leben, Tod und Wiedergeburt (Samsara). Es hat auf sie eine meditative und entspannende Wirkung.
Die Intention der Beteiligten war es, den Rezipienten auf die Vielfältigkeit und Verschiedenheit der (Natur)elemente aufmerksam zu machen. Beim Betrachten werden wir uns der Herkunft einzelner Elemente bewusst; z.B. erinnern und die Anröchterdolomitsteine an frühere Steinbrüche, auch die verrostete Stahlsäge kann einerseits mit der früheren Fabrikarbeit rund um die Wupper und andererseits mit einem alten Mühlrad in Verbindung gebracht werden. Zudem war es die Intention der Beteiligten, die Wirkung der Wupper auf den „Gesamteindruck Wuppertal“ zu zeigen: Der kurvenreiche Fluss bietet einen Ausgleich zu den statischen, unbewegten Gebäuden hinter den Wupperufern. Die Wupper schenkt unserer Stadt mehr Dynamik und lässt sie im Ganzen bewegter wirken.
Mareike Lüdeke

     
 
 
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